FAQ: Antworten auf juristische Fragen bei Stellensuche und Bewerbungen

Ein Interview mit dem Arbeitsrechtler David Gleissner

Im Zusammenhang mit dem Wechsel des Arbeitgebers ergeben sich für Arbeitnehmer gelegentlich auch rechtliche Fragen. Ich selbst bin kein Jurist und kann und darf Ihnen deshalb zu juristischen Themen keine Beratung anbieten. Damit Sie an dieser Stelle dennoch Antworten auf häufige juristische Fragen bei Stellensuche und Bewerbungen bekommen, habe ich diese einmal zusammengestellt und den Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht David Gleissner von der renommierten Kanzlei Lemberg in Hamburg gebeten, sie für die Besucher dieser Website zu beantworten. Herr Gleissner war gerne bereit dazu und so finden Sie nachfolgend in einer kompakten Textversion dieses Interviews viele wichtige juristische Tipps zu diesen Themen:


1. Herr Gleissner, bitte erzählen Sie den Besuchern von richtig-bewerben.net doch zuerst etwas über sich selbst und Ihren beruflichen Hintergrund.

»Ich bin Fachanwalt für Arbeitsrecht. Bereits im Studium habe ich für Hessen Metall und die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände gearbeitet. Im Referendariat blieb ich meinem Metier dann treu und fing nach meinem 2. Staatsexamen bei einer großen Hamburger Insolvenzverwalterkanzlei an. Dort betreute ich das arbeitsrechtliche Dezernat. Seit 2004 bin ich selbstständig und Partner einer alteingesessenen Kanzlei in der Hamburger Altstadt.«

2. Welche Tatsachen darf man in seiner Bewerbung verschweigen bzw. beschönigen?

»Andersherum gefragt: Was hat den Arbeitgeber zu interessieren? An und für sich nur Sachen, die für den Beruf wichtig sind. Das Bundesarbeitsgericht sagt, dass sich ein Arbeitnehmer bei Tatsachen, die einem die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten unmöglich machen oder die für den Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind, sogar von sich aus offenbaren muss (BAG 21.02.1991, DB 1991, 1934). Das sind z.B. Wettbewerbsverbote, bevorstehende Haftstrafen (man kann ja dann nicht zum Arbeiten kommen …). Bei Krankheiten, Schwerbehinderungen oder Vorstrafen nur dann, wenn sie einen direkten Bezug zu dem Arbeitsplatz haben. Z.B. Der alkoholabhängige Kraftfahrer, das gehbehinderte Laufstegmodell. Schwangerschaften muss man noch nicht einmal dann offenbaren, wenn man die befristet engagierte Schwangerschaftsvertretung ist.

Beim Fragerecht des Arbeitgebers sieht es ähnlich aus. Es gibt zulässige und unzulässige Fragen. Zum beruflichen Werdegang darf befragt werden. Jeder Arbeitnehmer versucht hier natürlich, sich in ein besonders gutes Licht zu stellen. Beim Beschönigen ist die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit immer etwas fließend. Bei mir als Arbeitsrechtler ist es in Ordnung, wenn ich auf die Frage nach meinem Staatsexamen mein ausgezeichnetes Ergebnis im arbeitsrechtlichen Teil der Prüfung hervorhebe und beim Strafrecht etwas zurückhaltender bin. Hier sind wir bei Auslegungsfragen – hat der einzige Mitarbeiter in einer Abteilung diese geleitet? Hakt der Zuhörer hier nicht nach, so entsteht der Eindruck, der Bewerber hätte Erfahrung in der Anleitung und Führung von Mitarbeitern, was natürlich nicht stimmt. Manch eine Lücke im Lebenslauf wird mit einer „Fortbildung“ kaschiert. Das Zertifikat des Wochenendseminars wird dann natürlich beigefügt. Das in der Hoffnung, dass schon nicht genau nachgeschaut werden wird. Wegen dieser Grauzone entwickeln die Unternehmen immer ausgefeiltere Bewerbungsverfahren, in denen die Bewerber auf Herz und Nieren geprüft werden. Es ist dabei wie beim Medizinertest. Es gibt gute Bewerber, schlechte Bewerber und Bewerber, die sich gut auf den Test vorbereitet haben. Optimale Chancen haben nur die guten Bewerber, die sich auf ein Assessment-Center auch vorbereitet haben.«

3. Darf ich im Bewerbungsgespräch nie lügen oder gibt es da Ausnahmen?

»Lügen sind im Bewerbungsgespräch wegen ihrer möglichen Folgen mit Vorsicht zu genießen. Ertappte Lügner, selbst wenn sie lügen durften, werden einen schweren Stand haben. In der Literatur gibt es Sammlungen von Einzelfallentscheidungen – die Antwort ist wieder bei den zulässigen Fragen zu finden – das was den Arbeitgeber zwingend für den Job wissen muss bzw. das, was in einem ausgewogenen Verhältnis zu den schutzwürdigen Interessen des Bewerbs steht, darf erfragt werden. Bei unzulässigen Fragen darf ich lügen. Ich kann hier wieder nur Beispiele nennen: Die schwangere Bewerberin für einen normalen Bürojob darf lügen. Selbst ich wurde hier schon angelogen. Sogar noch von einer ehemaligen Auszubildenden. Naja, ich habe nicht gefragt, mir wurde nichts offenbart und plötzlich kamen die gelben Zettel und als ich den Entbindungstermin zurückrechnete, war mir klar, dass die Gute schon im dritten Monat war, als sie unterschrieb. Der Bewerber muss sich in solchen Situationen klar sein, dass er sich vielleicht nichts Gutes tut, wenn er an den Falschen gerät. Selbst dann nicht, wenn er lügen darf. Ich würde mich hier beraten lassen, wenn ich Fragen befürchte, bei denen ich das Gefühl habe, lügen zu müssen. Relativ unproblematisch sind die Fälle, die Merkmale des § 1 AGG betreffen – dem Antidiskriminierungsgesetz.«

4. In welchen Situationen kann ein Arbeitsvertrag später wegen arglistiger Täuschung angefochten werden?

»In den Fällen, in denen nicht gelogen werden durfte und die Täuschung für den Abschluss des Arbeitsvertrages ursächlich war, kann der Arbeitgeber anfechten. Es wird dann nicht nur so getan, als sei der Arbeitsvertrag niemals geschlossen worden, sondern der Arbeitnehmer macht sich auch schadenersatzpflichtig. Grob vereinfacht, wird es dann sehr kompliziert und für beide Seiten unangenehm und teuer.«

5. Sind Ihnen auch Beispiele bekannt, bei denen dies vom Arbeitnehmer ausging?

»Nein, aber es gibt sie in der Literatur. Der Spitzenbewerber fragt, ob der Arbeitgeber Marktführer in seinem Bereich sei und ob er gute Perspektiven habe. Auf die Frage nach dem „angemessenen“ Dienstwagen wird „Mercedes E-Klasse“ gesagt und es gibt dann doch nur einen Golf. Wenn hier gelogen wird, dann darf auch der Arbeitnehmer anfechten – aber er wird erhebliche Beweisprobleme bekommen.«

6. Darf ich bei parallelen Bewerbungen meine Verhandlungspartner gegeneinander ausspielen?

»Ja. Natürlich. Die Grenze ist, ob ich schuldhaft bei meinem Vertragspartner ein Vertrauen erwecke, dass ich ernsthaft mit ihm verhandle. „Ja, sagen Sie allen anderen ab, ich komme zu Ihnen“ – heute und morgen dann „Nö, also wissen Sie, XY zahlt 10.000 mehr im Jahr“. Dann bekomme ich ein Problem.«

7. In welchen Situationen bin ich meinem potenziellen Arbeitgeber gegenüber zum Schadenersatz verpflichtet, wenn ich die Stelle doch nicht antrete?

»Wenn ich den Arbeitsvertrag unterschreibe und dann die Stelle nicht antrete, dann werde ich im schlimmsten Fall nicht nur eine Vertragsstrafe bezahlen müssen, sondern auch die Kosten des Assessment-Centers erstatten müssen. Wenn ich ein besseres Angebot bekomme, dann sollte ich mich gut beraten lassen. Manchmal kann man vor Vertragsantritt noch rechtzeitig kündigen oder vielleicht auch den Vertrag selbst anfechten.«

8. Kann ich bei einem neuen Arbeitgeber beginnen, obwohl mein vorheriger Arbeitsvertrag noch nicht beendet ist?

»Wenn der nicht damit einverstanden ist? Nein. Wenn es sich dann auch noch um einen Wettbewerber handelt, dann droht Ungemach!«

9. Habe ich ein Recht auf ein Arbeitszeugnis und was muss bzw. darf darin eigentlich erwähnt werden?

»Ja. Es muss ein qualifiziertes und wohlwollend formuliertes Zeugnis sein. Es sollen die Beschäftigungszeiten, die Tätigkeitsbeschreibung und eine Beurteilung der Leistung und des Verhaltens des Arbeitnehmers enthalten sein. Dinge wie der Gesundheitszustand, die Mitgliedschaft im Betriebsrat oder ob sich der Arbeitnehmer besonders für die Belange der weiblichen Belegschaft eingesetzt hat, haben in einem Zeugnis nichts zu suchen.«

10. Gibt es eine geheime Zeugnissprache?

»Wie das mit Geheimnissen so ist. Sobald sie in einem Buch stehen, sind sie nicht mehr geheim. Stehen sie in keinem Buch, versteht sie keiner so, wie er sie verstehen soll. Zeugnisse lesen sich aber so, als ob sie versteckte Botschaften enthalten. Es handelt sich aber um verklausulierte Bewertungen. Ein schönes Beispiel ist die Reihenfolge der Worte bei der Bewertung des Verhaltens: „Sein Verhalten gegenüber seinen Kollegen, den Kunden wie auch seinen Vorgesetzten war stets einwandfrei“. Klingt doch super, oder? Dieser Arbeitnehmer ist bei seinen Vorgesetzten wegen irgendetwas in Ungnade gefallen. Diese Formulierung müsste richtig heissen: „Sein Verhalten gegenüber seinen Vorgesetzten, den Kollegen wie auch den Kunden war stets einwandfrei.“ – Die Kunden sind so unwichtig, dass sie hinten stehen. Der nicht juristisch belesene Aussteller eines Zeugnisses – vielleicht ein Handwerker – denkt sich vielleicht, dass die Kunden ja das allerwichtigste sind und verbaut seinem wirklich guten Arbeitnehmer damit die Zukunft. Naja, vielleicht fällt es dem anderen ebenfalls unbelesenen potenziellen Arbeitgeber auch nicht auf, aber hier gibt es eine Zeugnissprache – „geheim“ ist sie allerdings nicht. Man muss nur wissen, wie es geht.«

11. Wie wertvoll sind vor diesem Hintergrund Arbeitszeugnisse Ihrer Meinung nach wirklich?

»Nun, ich kann sehen, wo vielleicht Schwachpunkte sind, die ich näher überprüfen muss. Sehr gut sind Zeugnisse bei der Tätigkeitsbeschreibung. Meine Frau sucht einen Mitarbeiter / Mitarbeiterin mit Kenntnissen in Betriebskostenabrechnungen. Selbst Kaufleute der Wohnungswirtschaft fallen durch ihr Raster, wenn die Tätigkeitsbeschreibung ergibt, dass die Person zwar Immobilienkaufmann ist, aber die Besichtigungen und Neuvermietungen gemacht hat und nie eine Betriebskostenabrechnung in der Hand hatte.«

12. In welchen Situationen lohnt sich eine Klage aufgrund eines schlechten Arbeitszeugnisses?

»Ich habe es schon selbst miterleben müssen, dass über Zeugnisse entweder nachgetreten wird und die Zeugniskorrektur sogar vollstreckt werden musste oder dass auch Arbeitnehmer all die Unzufriedenheit über die Missstände unserer Welt durch ein „anderes“ Zeugnis geheilt haben wollten. Das, was sie dann bekommen haben, war wirklich nicht besser als das, was sie vorher hatten, aber sie waren damit glücklicher.

Wenn man weiß, dass Anwälte und Richter Zeugnisprozesse nicht mögen, dann weiß man auch, dass es fast immer einen Vergleich gibt, der ein Zeugnis verbessert. Anwälte mögen Zeugnisprozesse nicht, weil der Gebührenstreitwert – das wonach sich die Rechnung im Regelfall bemisst – bei Zeugnissen sehr niedrig ist. Richter mögen Zeugnisprozesse nicht, weil oft wegen Lapalien geklagt wird oder weil völlig falsche Vorstellungen über den Inhalt von Zeugnissen bestehen. Ich persönlich vertrete die Ansicht, dass eine Klage immer dann lohnt, wenn man bereit ist, den Preis eines anständigen Arbeitsrechtlers zu bezahlen, der einen im Prozess vertritt. Das kann durchaus 1.500 bis 3.000 Euro kosten – je nach Aufwand und Dauer. Dieser schützt Sie dann auch vor überzogenen Erwartungen. Wenn ich aber überlege, dass ich ein Zeugnis mit einem offensichtlichen Mangel mein ganzes Berufsleben wie ein Stigma mit mir herumtrage, dann relativiert sich dieser Preis und die Notwendigkeit fundierter Beratung liegt auf der Hand.«

13. Sollte man als Arbeitnehmer zur Bewertung eines Zeugnisses sicherheitshalber immer einen Arbeitsrechtler hinzuziehen, damit nichts schiefgeht?

»Sie fragen einen Arbeitsrechtler: Ja natürlich!

Spaß beiseite. Wenn Sie bei einem Zeugnis wegen der darin enthaltenen Feinheiten drei Personen fragen, was das bedeutet, dann bekommen Sie fünf Antworten. Die Feinheiten der Zeugnissprache sind in weiten Teilen nur mit Erfahrung und Fingerspitzengefühl zu erfassen. Die Grundlagen sind aber fix. An einigen Formulierungen gibt es nichts zu rütteln, wenn Sie diese in Ihrem Zeugnis stehen haben – mein Beispiel mit der Reihenfolge, dann sollten Sie handeln. Es muss ja nicht sein, dass Ihr Arbeitgeber tatsächlich Nachtreten wollte. Manchmal sind es wirklich nur Versehen aus Unwissenheit. Wenn Sie die Möglichkeit haben, sollten Sie sich aber frühzeitig um Ihr Zeugnis kümmern und wenn möglich selbst einen Entwurf einreichen. Sie können mehr gestalten, als Sie denken. Wenn Sie bedenken, dass Sie Ihr Zeugnis Ihr Berufsleben lang begleiten wird, dann erscheint eine Beratung oder wenigstens ein „Kontroll-Lesen“ sehr sinnvoll.«


Soweit die Antworten von Herrn Rechtsanwalt Gleissner als Textversion für diese Website. Das eigentliche Interview vom 12. Juni 2014 können Sie als Audio-Mitschnitt im Podcast Nr. 4 anhören:

Der Podcast steht auch zum Download und auf Spotify bereit.